Dunkle Wolken über Prag

In Moskau wurde das „Aktionsprogramm“ der 2000 Worte zum Hauptanlass, der den „Falken“ wie dem Chefideologen Michail Suslow Auftrieb gab, zum Angriff überzugehen. Für Verteidigungsminister Marschall Andrej Gretschko war klar: „Wir sind jederzeit bereit, auf Beschluss der Partei gemeinsam mit den Armeen der Länder des Warschauer Paktes dem tschechoslowakischen Volk zu Hilfe zu kommen, sollten die Imperialisten und Konterrevolutionäre versuchen, die sozialistische Tschechoslowakei den sozialistischen Ländern zu entreißen.“ Die Tschechoslowakei war den Militärs wichtig: sicherheits- und rüstungspolitisch, was besonders der KGB unter dem Hardliner Juri Andropow so sah.
Zu den wichtigsten Treibern, das tschechoslowakische „Problem“ gewaltsam zu „lösen“, wurden Ulbricht und Gomulka; ihnen folgte Živkov. Janos Kádár in Ungarn zögerte. Für Ulbricht ging es um den eigenen Machterhalt.

Ludvik Svoboda ( 1895 – 1979 ) war ein tschechoslowakischer General, Held der Sowjetunion und von 1968 bis 1975 Staatspräsident der CSSR

Mit der Wahl des 72-jährigen Generals Ludvik Svoboda zum Staatspräsidenten im April 1968 erreichte die Reformbewegung in der ČSSR ihren Höhepunkt. Es war die erste geheime Wahl seit 1948, die in der Nationalversammlung stattfand. Während des Krieges hatte er auf Seite der Sowjetunion gekämpft und wurde mit dem Suworow-Orden ausgezeichnet. Als Prager Verteidigungsminister deckte Svoboda (zu deutsch: Freiheit) den kommunistischen Putsch 1948.

Seine Wahl sollte das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und die „Falken“ im Warschauer Pakt besänftigen. Besonders der SED-Führung um Walter Ulbricht war die Aufweichung der Alleinherrschaft der Partei ein Dorn im Auge, öffentliche oder auch innerparteiliche Diskussionen über die Zukunft des Sozialismus waren nicht erwünscht.
In der ČSSR hatten sich aber die Reformer mit dem „Aktionsprogramm“ und der Regierungsbildung fürs Erste gegen die „Konservativen“ durchgesetzt. Die Regierungserklärung vom 24. April 1968 machte dies – trotz der Treuegelöbnisse gegenüber Moskau und dem Warschauer Pakt – deutlich, als man die Aufhebung der Zensur, die Rehabilitierung von politischen Opfern, die Erweiterung von Reisemöglichkeiten und Wirtschaftsreformen versprach. Der Sozialismus wurde nicht zur Diskussion gestellt. Spätestens jetzt war für den Kreml ein weiteres, schwerwiegendes Problem in der kommunistischen Bewegung entstanden, weil die Funken der Ideen von Prag überzuspringen drohten. Der politische Reformprozess führte zu einer starken Solidarisierung weiter Teile der Bevölkerung, besonders der Jugend und der Intellektuellen, mit der neuen KP-Führung.

Leonid Iljitsch Breschnew (1906 – 1982 ) war ein sowjetischer Politiker ukrainischer Herkunft . Er war von 1964 bis 1982 Parteichef der KPdSU, zudem war er Staatschef und vierfacher „Held der Sowjetunion“

Tatsächlich sollten hier die Weichen für die spätere Intervention der Truppen des Warschauer Pakts unter der Führung der Sowjetunion gestellt werden. Leonid Breschnew, der nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass Dubček „sein Mann“ in Prag war, für dessen Wahl er auch eine gewisse persönliche Verantwortung spürte, war der Einzige, der eine gemäßigte Linie vertrat. Anwesend waren auch Walter Ulbricht und die Führer der kommunistischen Parteien von Polen, Bulgarien und Ungarn, die sofortiges Eingreifen und Maßnahmen verlangten. Und so liefen parallel zu den Verhandlungen die Vorbereitungen für den Einmarsch. Das Politbüro beauftragte offiziell am 22. Juli Verteidigungsminister Gretschko damit, „Maßnahmen für die Zeit nach dem Einmarsch zu ergreifen“. Noch einmal sollte mit Dubček eine „politische Lösung“ gesucht werden. Ende Juli kam es zu bilateralen Verhandlungen im slowakischen Čierná nad Tisou (Schwarzau a. d. Theiß), die wider Erwarten aus Sicht des Kremls einigermaßen Erfolg versprechend endeten. Dubček hatte eine „Chance“ erhalten, zumindest aber Zeit gewonnen.

Das Treffen von Dubcek mit Breschnew im Čierna na Tisou auf der Grenze im Eisenbahnwagon am 29. Juli 1968.
Der Wappen des Warschauer Paktes

Doch am 3. August trafen in Bratislava die „Warschauer Fünf“ (Polen, DDR, Ungarn, Bulgarien und die UdSSR) mit der KPČ zusammen und veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, in der zwar der ČSSR die Achtung ihrer Souveränität zugesichert wurde, gleichzeitig aber mit Gegenmaßnahmen gedroht wurde, für den Fall, dass die Reformen nicht zurückgenommen werden . Während des Treffens übergab der konservative KPČ Funktionär Vasil Bilak der sowjetischen Delegation den „Einladungsbrief der gesunden Kräfte“ der KPČ in dem um eine „kollektive Hilfsaktion“ gebeten wurde. Die Übergabe des Briefes soll auf einer Toilette stattgefunden haben.

Der angebliche Bruch der Erklärung von Bratislava durch Dubček, in der sich die Teilnehmer verpflichtet haben, die „Errungenschaften der sozialistischen Länder“ zu festigen und zu verteidigen, wurde von den Sowjets dazu benutzt, um den Einmarsch zu rechtfertigen. Am 13. August ließ Breschnew Dubček in einem sehr emotionalen Telefonat fallen. Er warf ihm den Bruch der Absprachen von Cierná und Bratislava vor. Dubček reagierte fast apathisch, war gereizt und flüchtete sich in Ausreden.

Die Partei- und Regierungschefs Bulgariens, der CSSR, der DDR, Polens, Ungarns und der UdSSR hatten auf ihrer Konferenz
in Bratislava (CSSR, heute Slowakei) ein Kommuniqué verabschiedet. Darin sicherten sie zwar der CSSR die Achtung ihrer Souveränität zu, übten jedoch auch in verschlüsselter Form Kritik an den liberalen Reformen in der CSSR und drohten mit Gegenmaßnahmen.

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