Vorwort

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Otokar Löbl

Der „Prager Frühling“ und die folgende Okkupation der Tschechoslowakei durch die Sowjetunion jährt sich zum fünfzigsten Mal: Zeit, sich aus der Distanz dieses epochale Ereignis, das in einer Reihe mit dem politischen Aufbegehren der „Achtundsechziger“ in Europa gegen die alte Ordnung zu sehen ist, zu vergegenwärtigen, zu bewerten und in die Gegenwart einzuordnen. 

Wer auch immer im Moskau an der Macht sitzt, ob er Zar, Generalsekretär oder Präsident heißt: Es ist immer noch dieselbe aggressive und imperiale Macht, die ihre Grenzen insbesondere nach Westen verschieben will. Die russischen Panzer vom August 1968 in Prag unterscheiden sich von den Panzern in der Ukraine nur im Typ. Sie werden immer noch von der gleichen Mentalität gesteuert, die den Abzug von Waffen drückt, die vor 55 Jahren Dutzende Zivilisten in der Tschechoslowakei und im letzten Jahr Tausende Zivilisten in der Ukraine getötet haben.

Die damalige sowjetische Propaganda nutzte genau die gleichen Argumente wie Putin heute. Einer seiner Ideologen hat erst vor kurzem wiederholt, dass 1968 in der Tschechoslowakei ein faschistischer Umsturz und auch die Intervention von Seiten Westdeutschlands gedroht hätten. Darauf waren die Soldaten des Warschauer Paktes damals tatsächlich vorbereitet, und sie hatten Angst davor. Dies entsprach aber absolut nicht der Wahrheit. Ganz ähnlich stellen die Russen es heute den eigenen Soldaten dar: dass es in der Ukraine Nazis und Faschisten gebe und dass die dortige Bevölkerung die Soldaten willkommen heißen werde.

Der entscheidende Unterschied zwischen damals und heute ist aber, dass es 1968 nie zum Krieg kam. Prag setzte sich nicht militärisch zur Wehr, Tschechen und Slowaken verteidigten sich nicht mit der Waffe in der Hand. Europa war noch mitten im Kalten Krieg und der Warschauer Pak war militärisch mit konventionellen Waffen der NATO überlegen und man riskierte keinen III. Weltkrieg. Der Generalsekretär der Kommunistischen Partei, Alexander Dubček, appellierte nicht zu den Waren zu greifen. Man hörte auf ihn.

Mit so einem raschen Schlag gedachte der russische Präsident die Ukraine einzunehmen. Dem Warschauer Pakt gelang das im Prager Frühling. Der Erfolg führte allerdings in eine lange politische Agonie.

In der Ukraine sollte es ablaufen wie einst in der Tschechoslowakei: schnell hineinstoßen, eventuellen Widerstand brechen, die politische Führung sofort verhaften oder liquidieren, eine Marionettenregierung einsetzen, welche die Bevölkerung dazu bringt, wenn auch widerwillig, rasch zu einem «normalisierten» Alltag zurückzukehren. Aus einer Position der Stärke heraus würde das siegreiche Russland danach mit dem Westen buchstäblich wieder zu Tagesordnung übergehen können.

«Wir treffen uns nach dem Krieg um sechs im ‹Kelch›», sagt der brave Soldat Schwejk beim Abschied von seinem guten Kameraden Woditschka, im Herbst 1914 unterwegs zu einem anderen Frontabschnitt

Der schwedische Schriftsteller Richard Swartz hinterfragt in der NZZ ob Putin Hašeks Buch gelesen hat? Falls nicht, teilt er dennoch Schwejks Philosophie: Unangenehm ist dieser Krieg, den «Drogensüchtige und Neonazis» uns aufgezwungen haben, von denen wir die Ukraine jetzt befreien müssen. Aber schon bald wird er vorüber sein und die Ordnung wiederhergestellt.

Putin hat – wie alle Diktatoren – die Stärke der Demokratie weit unterschätzt, ihr Gezanke und ihre Trägheit interpretiert er als Schwäche und Dekadenz.

Diese Ausstellung ist keine wissenschaftliche Darstellung, sondern Betrachtung aus meinen eigenen dem Winkel auf die Geschichte, die ich als Student 1968 selbst sehr emotionell erlebt habe, als ich mit Freunden mit einem Transparent – IWAN GEH NACH HAUSE, gegenüber von russischem Panzer und Soldaten stand. Dieses Erlebnis prägte mich und die Bilder wurden mit dem Überfall auf die Ukraine wieder lebendig.

In der Ausstellung wurden bei der Darstellung über Russland und die Ukraine teilweise Sätze und Zitate aus dem Internet, aber überwiegend aus dem Buch „DER FLUCH DES IMPERIUMS“  von  Prof. Dr. Martin Schulze Wesel verwendet, der Professor für die Geschichte Ost-und  Südosteuropas an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Von 2012 bis 2016 war er Vorsitzender des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands.

Otokar Löbl

Kurator der Ausstellung

AUSSTELLUNG